Hessischer Bildungsserver

Bericht des hessischen Kultusministers über die Wohn- und Lebenslage in Kostheim

Beschreibung

Dem Wiesbadener Stadtoberhaupt wird durch den hessischen Kultusminister ein Bericht zugeleitet über die Wohn- und Lebenslage Kostheimer Schulkinder. EineStichprobe in einer Schulklasse habe ergeben, dass 50 Prozent der Schulmädchenim Alter von zwölf Jahren kein eigenes Bett hatten, zu zweit oder zu dritt ineinem Bett schlafen mussten. Einige Kinder fehlten im Unterricht, weil sie anKrätze litten. 25 Prozent aller Kinder waren unterernährt, 50 Prozent derSchulanfänger zeigten Anzeichen von Rachitis. Als Beispiel für die Anzeichensozialer Verelendung in der Kostheimer Barackensiedlung - Behausung fürausgebombte Arbeiterfamilien - erwähnt der Bericht eine Familie, die mit siebenKindern in einem 18 Quadratmeter großen Raum mit feuchten Wänden und Lumpen inden Fenstern hausen müsse. - Am 26.11. hat der Beirat von Kastel den Magistratvon Wiesbaden in einem Dringlichkeitsantrag zur sofortigen Korrektur desVerteilungsschlüssels aufgefordert: "... Die Einwohner von Kastel haben, da essich fast ausnahmslos um Totalschäden handelt, nicht mehr das Notwendigste zurVerfügung. Es müssen teilweise Konservendosen zu Kochtöpfen benutzt werden. Imgleichen Maße fehlt es auch an Bekleidung, Wäsche, Schuhwerk, Fahrrädern zurErreichung der Arbeitsstätte usw. ..." - Auch in der Kernstadt Wiesbaden mitrelativ geringem Zerstörungsgrad und günstiger Wohnraumsituation, kann sich, wiein anderen Städten, in dem beginnenden Winter glücklich schätzen, wer wenigstenseinen einzigen Raum mit einem eisernen Ofen beheizen kann. Doch viel schlimmerist die Lage in den neuen Wiesbadener Stadtteilen Amöneburg, Kostheim und Kastel(AKK) mit einem erheblich höheren Zerstörungsgrad (Kostheim etwa 40 Prozent,Kastel fast 90 Prozent): Viele Menschen sind obdachlos, hausen in Kellern,Gartenlauben oder sonstigen Notunterkünften, haben mit den Wohnungen auchMobiliar, Hausrat und Kleidung verloren.

Datum 29.11.1946